Einfühlung

Einfühlung und Empathie

Die Einfühlung muss von Empfindung, Affekt und Emotion unterschieden werden (lat. emovere: herausbewegen). Für Psychoanalyse und Tiefenpsychologie ist die Einfühlung von grundlegender Bedeutung und kommt ohne eine Theorie der Gefühle und des Verstehens nicht aus.

Von der Psychoanalyse wurde die Einfühlung als Begriff zunächst übersehen. Man hielt es wohl für selbstverständlich, dass sich der Psychotherapeut in seinen Patienten einfühlt, um zu verstehen, wie es ihm geht und woran er leidet. Erst 1966 veröffentlichte Heinz Kohut eine Abhandlung über Introspektion, Empathie und Psychoanalyse.

Auch heute noch wird in der Fachliteratur zur Psychotherapie statt Einfühlung eher der Begriff Empathie verwendet. Er kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „hineinleiden". Damit wird der Gefühlsbegriff vermieden: Die Psychoanalyse hat Scheu, sich mit ihm auseinanderzusetzen, denn sie geriete dabei in die Bereiche der Geisteswissenschaften und ihrer Methodik (Hermeneutik). Auch das Sich-Identifizieren entspricht nicht genug der Einfühlung (lat.: idem facere: dasselbe machen). Es gehört in andere Zusammenhänge.
Sehr gut eignet sich der Begriff Intuition (lat. intueri: anschauen). Gemeint ist eine ganzheitliche Wahrnehmung, die Sinnliches und Geistiges einschließt. Sie steht im Gegensatz zur Reflexion und ist die Fähigkeit, ein Ganzes mit seinen Gliedern in einem Akt unmittelbar und einsichtig zu erfassen. Gefühlsmäßig erschaut wird das Wesen eines Gegenstandes, eines Sachverhalts oder Zusammenhanges. Platon verwendete den Begriff der Intuition für das geistige Schauen einer Idee. Die Geschichte des Begriffs ist in der Philosophie vielschichtig.

Einfühlung ist die Fähigkeit, sich in einen Menschen, seine Gedanken- und Gefühlswelt hineinzuleben, sich in ihn hineinzuversetzen. Sie strebt ein Verstehen des anderen an. So weist Martin Heidegger darauf hin, dass etymologisch dieser Begriff auf das „einer Sache Vorstehen-Können" zurückgeht. Es kommt einer Handlungsfähigkeit nahe.

Bei Alfred Adler heißt es: „Unser gesamtes Erleben hängt mit der Einfühlung innig zusammen. Sie hat ihre Wurzel im angeborenen Gemeinschaftsgefühl, ist ein kosmisches Gefühl und Abglanz des Zusammenhanges alles Kosmischen, das in uns lebt. Die Fähigkeit, sich in einen anderen Menschen einzufühlen, ist in der Regel beim Menschen außerordentlich stark entwickelt; man findet sie an jeder Stelle des Seelenlebens." Wer kennt nicht das Gefühl der Beklemmung oder gar Beängstigung, wenn man jemanden in einem hochgelegenen Stockwerk sich weit herauslehnend ein Fenster putzen sieht. Oder bleibt ein Redner stecken, sind wir mit ihm unangenehm berührt und schließlich erleichtert, wenn er die Situation mit Humor und Ruhe nimmt und zu seinem Text zurückfindet. Ob jenes Gemeinschaftsgefühl nun angeboren ist, stellte auch Adler selbst später infrage. Doch die sich eigentümlich spontan vollziehende Überbrückung des Abstandes zwischen zwei Menschenwesen ist offenbar ein anthropologischer Tatbestand. Er darf nicht verwechselt werden mit der Affektansteckung, das Hereingezogen-werden in die affektive Befindlichkeit des Gegenüber. Dieser Sachverhalt, wie er schon im Tierreich auftritt, erfasst das Einfühlungs-Phänomen in keiner Weise. Wenn ich beispielsweise einen Kutscher beobachte, der wütend auf sein Pferd eindrischt, beruht mein Zorn auf meinem Mitfühlen mit dem Tier, wobei ich gewiss weder den Affekt des Pferdes noch den des Kutschers teile. Einfühlung beruht im Sinne Max Schelers auf einem Akt emotionaler Transzendenz, mit dem ich die Brücke zum Mitmenschen schlage. Mit diesem Theorem kommen wir dem Geschehen in einer Psychotherapie vom Problemgehalt näher, ohne auf erklärende Vorannahmen ...

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