Wenn es irgendeine durchgängige Gemeinsamkeit der tiefenpsychologischen Lehrmeinungen gibt, dann steht ganz oben der Konflikt. Zur Konfliktfähigkeit soll irgendwie angeleitet werden. Jede der alteingesessenen Schulen hielt große Stücke auf ihre Konflikttheorie. Bei Freud hießen die streitenden Parteien anfangs vom Familiennamen her „Trieb“ und sie differenzierten sich in Abkömmlinge derselben, die sich untereinander nicht so recht grün waren. Die Individualpsychologie sah das Konfliktgeschehen in einem anthropologischen Minderwertigkeitsgefühl. Das sei die Grundbefindlichkeit des in der Natur unbehausten Menschenkindes, das aus dieser Schwächesituation heraus dazu disponiert ist, nach Überlegenheit zu streben. Wer dabei zu weit von dem implizit ethischen Maßstab abweicht, der bei Alfred Adler mit Gemeinschaftsgefühl bezeichnet ist, dessen Existenz droht in chronischen Konflikten unproduktiv zu werden.
Es ließen sich nun noch eine Vielzahl an konfliktdynamischen Konzepten vorstellen, zumal jede Schule unseres Faches um Originalität und Differenzierung bemüht ist. Dabei wäre es interessant zu untersuchen, was jeweils anthropologisch ‚hinter‘ dem als Konflikt Bezeichneten zu entdecken ist. Statt uns von Wikipedia über eine kaum übersehbare Zahl von Konfliktarten aufklären zu lassen, die mit der Artenvielfalt des Triebbegriffs konkurrieren kann, beschränken wir uns hier auf die ethische Dimension menschlichen Konflikt-Erlebens. Dazu einige Gedanken, die aus der Ethik (1926) Nicolai Hartmanns entnommen sind und hier paraphrasiert wiedergegeben werden (S. 405 f.):
Was hier anklingt, hat häufig nur wenig mit dem gemein, wovon im Alltag oder auch in der Psychotherapie gesprochen wird, wenn von „Unseren inneren Konflikten“ – so der Titel eines Werkes der Neo-Psychoanalytikerin Karen Horney – die Rede ist. Bei Alfred Adler heißt es zu solchen moralischen Selbst- und Fremdbezichtigungen aus Patientenmund, sie hätten bloß den Zweck, sich selbst und gleichzeitig den Therapeuten von der eigenen Gewissenhaftigkeit zu überzeugen. Sie seien gewissermaßen Mogelpackungen mit dem Aufkleber „Moralisch bin ich auch!“. Vielleicht ist es ja so, dass Psychotherapie weder die Aufgabe hat, moralisch zu belehren noch gemeinsam moralische Indifferenz zu leben; beide sind vielmehr dabei, ihre mitmenschliche Kompetenz auszuweiten. Das ist in jedem Falle ein ethisches Projekt, wenn im günstigen Falle hinter den Übertragungskonflikten beide Protagonisten irgendwann zu den wirklichen Fragen nach dem Wohin des eigenen Lebens ...